Nun folgt der zweite Teil der Geschichte meines Lebens rund um Trans* und Depression. Im letzten Teil habe ich bis zu Januar 2019 geschrieben. Status, die Depression war noch immer da, allerdings mal mehr mal weniger ausgeprägt. Depri ist blöd, das erwähnte ich schon und gehe jetzt nur noch auf die guten Momente ein.
Zwischendurch dachte ich immer wieder mal jetzt ist es gut, jetzt ist sie weg, um kurze Zeit später wieder auf den Boden der Tatsachen oder auch auf den Boden meines Depri-Loches zu landen.
Training mit Evin
Zwischen Alexandra, Evin und mir hatte sich inzwischen eine gewisse Routine eingespielt. Wir frühstückten zusammen und wenn Alexandra gegen acht Uhr zur Arbeit fuhr, brachten wir sie hin oder fuhren gleich auf unsere Gassiwiese.
Evins vertrauen zu uns hatte sich zwischenzeitlich gefestigt, so das wir immer mehr Übungen einbauen konnten. Alles was er lernte gab auch mir Auftrieb und stolz berichtete ich von allen Erfolgen. Ich erinnere mich an den Tag als er, ohne das ich ein Wort sagte, an der Strasse zu mir kam, sich setzte und wartete bis wir gemeinsam herüberdingen. Ich war stolz wie Oskar und musste natürlich ein Videobeweis für Alexandra und unsere Hundetrainer drehen.
Ich denke nachdem wir zum zehnten mal die Straßenseite gewechselt hatten dachte Evin jetzt drehe ich völlig durch. Sein Blick war sehr sehr deutlich 🙂
Aber im Gegenteil, seine Erfolge gaben mir Auftrieb. Ähnlich war es bei meinen RC-Modellen.
RC-Modellbau
In der Reha habe ich gelernt das es ganz wichtig ist sich eine Beschäftigung zu suchen. In meiner ersten Depri-Phase habe ich mich, ohne das zu wissen, intensiv mit dem 3d Druck beschäftigt.
Jetzt liefen die Drucker, ich hatte aber noch jede menge Teile für meine RC-Crawler liegen. Ich kaufte hier und da noch etwas dazu und baute einen Crawler/Scaler nach dem anderen. Zur Erklärung ein Crawler ist ein Modellauto was extrem Geländegängig ist. Ein Scaler soll dazu noch möglichst echt aussehen.
Bald waren alle Regale voll und Alexandra meinte das es so langsam reicht. Wir führten die Regel ein, baue ich einen Neuen, muss ein Alter gehen. Ich habe hier einen guten Geschmack, so verkaufte ich den Einen oder Anderen, die Käufer waren begeistert und ich glücklich. Mit einigen habe ich noch heute Kontakt.
Ostern 2019
Kommen wir zum April oder auch Ostern 2019. Mir war bewusst das mein Krankengeldanspruch (78 Wochen) bald ausläuft. Die Folge, Arbeitslos melden, ein Jahr Arbeitslosengeld beziehen und dann Hartz4. Als alternative die Erwerbsunfähigkeit beantragen, wird die bewilligt bis 67 von einer Erwerbsunfähigkeitsrente leben.
Beides nicht sehr Erstrebenswert daher sprach ich mit meinem Psychologen das ich auf jeden Fall vorher noch eine Wiedereingliederung in meinem alten Job probieren möchte. Er war nicht begeistert: „Trauen sie sich das wirklich zu!“.
Ich wollte/musste es aber probieren, vielleicht klappt es und wenn nicht wüsste ich endgültig das ich verblödet bin und den anderen Weg gehen muss.
Gleichzeitig hatte die Krankenkasse und der MDK (wers glaubt) die gleiche Idee. Vier Arbeitstage vor Ostern sollte ich eine Wiedereingliederung organisieren und am Dienstag nach Ostern damit beginnen.
Bei einem Anruf bei der Krankenkasse gab deren Mitarbeiter mir Recht das das unmöglich in vier Tagen zu regeln ist und setzte den Termin auf Anfang bis Mitte Mai. Gleichzeitig gab er mir gefühlt eine Stunde lang Tipps, welche Rechte und Pflichten ich während der Wiedereingliederung habe. Ich fühlte mich gut, bis einen Tag später die Mitteilung der Krankenkasse kam das mein Krankengeld schon Anfang Juni statt wie von mir berechnet Mitte/ende Juli ausläuft. Also keine Zeit für eine gescheite Wiedereingliederung und Ostern verbrachte ich wieder im Depri Loch. verstärkt wurde das noch dadurch das mir niemand (Krankenkasse/Arbeitsamt) sagen konnte ob ich nach der Aussteuerung und während der Wiedereingliederung auch vom Arbeitsamt Geld bekomme. Das erfuhr ich dann erst Tage später durch einen Rückruf einer Mitarbeiterin des Arbeitsamtes. Ja, das Arbeitsamt zahlt eine Wiedereingliederung.
Ich traf mich wieder mit meinem Arbeitgeber. In der gleichen Runde wie im Dezember, war ich diesmal deutlich lockerer und entspannter. Die Sprüche der diversen Psychologen bezüglich meiner Angst den Job zu verlieren zeigten ihre Wirkung: „Eine Firma die sie nach einem Jahr krank noch haben will, will sie wirklich.“, „Die Erfahrung die sie in 19Jahren in der Firma gesammelt haben, ist für die Firma unbezahlbar.“
Alles das hatte ich im Kopf, sprach ganz offen darüber das ich nicht geheilt bin und sie machten mir ein sensationelles Angebot. Details möchte ich nicht verraten, nur soviel, ich arbeite i den ersten Monaten drei Tage in der Woche, davon einen Zuhause.
Dazwischen gab es aber noch die vier Wochen Wiedereingliederung je drei Tage mit 3,4,5,6 Stunden und einem abschließenden Gespräch was wir nun alle sechs Wochen wiederholen um gleich der dritten Depri-Phase entgegen zu wirken.
Zurück im Job
Die erste Woche meiner Wiedereingliederung verbrachte ich damit meine Sachen zusammen zu packen, denn am Wochenende zog die ganze Firma in ein neues Gebäude um. Hier haben wir nur offene Räume mit Großraumbüros, jeweils 16 sitzen gemeinsam in einem leicht abgeteilten Bereich. Passt natürlich perfekt zu meiner Geräuschempfindlichkeit. Aber auch hier hat mein Arbeitgeber mitgedacht und ich bekam einen Platz bei den Mitarbeitern die nur gelegentlich da sind. Wir haben verschiedene Standorte und natürlich kunden und meine „BüroMitbewohner“ sind zu 90% unterwegs. Wenn ich mal zwei gleichzeitig antreffe ist das schon viel.
Meine offizielle Tätigkeit ist zwei von unseren Softwareentwicklern zu zu arbeiten, die Beiden sehen das aber etwas anders Ich bin die Dritte im Team, sie behandeln mich gleichberechtigt, geben mir interessante Aufgaben, haben aber auch immer im Kopf mich nicht zu überlasten.
Woche drei der Wiedereingliederung verlief nicht so glücklich, die fünf Arbeitsstunden waren schon heftig, danach war der Tag für mich gelaufen, als dann noch eine Erkältung dazu kam arbeitet ich zwei Tage von zuhause. Wie schon vorher erklärt für mein Arbeitgeber ein NoGo, auch das ich das lapidar mit einer Mail „ich fühle mich nicht gut und komme heute nicht“ mitteilte kam gar nicht gut an. Als mir das später in einem Meeting vorgeworfen wurde konterte ich mit dem vollen Wiedereingliederungswissen welches ich bei meinem Telefongespräch mit dem Mitarbeiter der Krankenkasse gelernt hatte. Grob gesagt ich kann während der Wiedereingliederung machen was ich will. Details erfahrt ihr bei eurer Krankenkasse 🙂 Das kam zwar gar nicht gut an, wurde mir aber verziehen.
Machen wir einen Sprung zur normalen Arbeitszeit, sieben Arbeitsstunden hören sich für den einen oder anderen sicher lächerlich an, für mich war das aber schon Hardcore. Regelmäßig machte ich meine Atemübungen, achtete darauf das ich eine echte Pause mache und währen dieser auch eine progressive Muskelentspannung durchführte. Alles weil ich nach wie vor sehr sehr gestresst war.
Der Stress
Ich trage seit Anfang des Jahres eine Smartwatch die auch Stress messen kann. Bei mir war sie allerdings ständig im tief roten Bereich, so das sie zwischendurch zur Probe auch mal von Alex getragen wurde weil ich dachte sie messe falsch. Dem war aber nicht so, bei Alexandra sah man Schwankungen von niedrig bis mittel und selten mal den roten Bereich.
Es kam ein Mittwoch im Juni, eigentlich ganz normal, das wetter war gut,die Autobahn war frei, ich war als erste im Büro und schaute auf meine Uhr. Die Stressanzeige war im gelben Bereich, da würde ich ihn nach einer Autobahnfahrt auch erwarten und sie ging weiter runter. Ich stellte auf Dauermessung um und kurze Zeit später war ich voll im grünen Bereich. Ich konnte es kaum glauben, las etwas in der Zeitung und es ging wieder etwas hoch. Später fand ich etwas Programmcode den ich vor Jahren geschrieben hatte, erkannt und verstand ihn. Ich war so glücklich das ich hätte weinen können. Ihr müsst bedenken vor einem Jahr konnte ich nicht mal meine Kniffelwürfel zusammenzählen.
Sollte es wirklich so sein das meine Phase, in der ich nur 100% Stress bei jeder Gelegenheit hatte, nun endlich vorbei war. Ich beobachtete es einige Tage und es schwankte von grün bis rot, ich fühlte mich dabei aber gut und war glücklich.
Fazit
Natürlich bin ich nicht geheilt, ich stehe jetzt aber mindestens einen Meter vor dem Loch und ich spüre jeden Milimeter den ich näher komme. Trockener Mund, Zittern, Kopfschmerzen, Schlaf- und Sprachstörungen sind meine ersten Warnzeichen, auf die ich nun sofort reagiere. Dazu bin ich mit Medikamenten gut eingestellt, welche ich auch noch mindestens einige Monate/Jahre nehmen muss.
Ich bin also noch immer Depressiv, kann aber damit Leben.
Da war noch das Thema Trans*
Fast hätte ich es vergessen, es ist auch eigentlich keine Thema mehr. Ich bin eine Frau, werde so akzeptiert und behandelt. Noch nie bin ich irgendwo angeeckt. Mein Aussehen scheint inzwischen so natürlich zu sein, das selbst meine dunkle Stimme keine Verwunderung auslöst. Es gibt nun mal Frauen mit dunklen Stimmen. Natürlich haben die Hormone ihren Teil dazu beigetragen. Bis auf meinen dicken (Schwangerschafts) Bauch ist die Figur deutlich weiblicher geworden. Ich habe Hüften, einen Popo und eine Handvoll Brüste. Die Haare an Armen, Beinen, Brust sind fast weg oder so dünn das man sie nicht sieht. Die Kopfhaare wachsen wie Unkraut und die Haut ist spürbar dünner geworden. Die Gefühlswelt gleicht einer Frau, manchmal muss Alexandra mir aber noch sagen an welchen stellen im Film ich heulen muss und manchmal überkommt es mich an stellen wo andere Mädels nur müde lächeln (Queen live in Wembley *schnüff)
Ich habe inzwischen auch meinen Kleidungsstil gefunden, ich nenne es mal sportlich elegant und auch mal bunt.
Klar, die kleine Anomalie zwischen den Beinen habe ich noch. Ich bilde mir aber ein das sie nicht auffällt und ich trage sehr gerne Leggings. Mein Endo fragt mich immer wann ich denn mal zur GAOP gehen will. Auf die Dauer sind die Testosteron Blocker nicht so gut für die Leber. Aber jetzt habe ich erstmal die Depri überstanden und wir werden sehen wann ich mich in das Abenteuer GAOP stürze.